Der folgende Tag gibt Antworten: Weil es auch im Süden Italiens ganz feine Motorradstrecken gibt! Wir verlassen die Küste und schlängeln uns hinauf in die Berge Richtung Campobasso, um dann auf der Höhe in Richtung Norden zu fahren. Es ist einsam hier, eine Bar für einen Expresso und einen Snack zu finden, stellt sich als ungewohnt schwierig heraus. Oder liegt es daran, dass Sonntag ist? Am Ende des Tages landen wir am Lago di Scanno, tausend Meter höher gelegen als das Quartier am Vortag. Ende Mai ist mehr als Vorsaison, ganze zwei Zimmer sind im Hotel belegt. Das nächste Restaurant befände sich im Dorf Scanno, vier Kilometer zurück bergauf, sagt der etwas verschlafene Rezeptionist. Zu Fuß sei nur eine Pizzeria zu erreichen - und sein Ton klingt nicht so, als würde er sie empfehlen.
Unbekannte Serpentinen im Dunklen nach dem Essen mit Wein? Keine gute Idee, wir wählen die Pizzeria zu Fuß. Und landen in einer großen Familienfeier als einzige fremde Gäste. Das pralle Leben mit der dazu gehörigen Lautstärke umtost uns! Die Pizza ist lecker, der Wein ist in Ordnung. Trotzdem ziehen wir uns zurück, nachdem wir aufgegessen haben, wir wollen nicht stören.
Der folgende Fahrtag beginnt mit einer spannenden Streckenführung durch eine enge Schlucht. Richtig am Kabel ziehen mag ich hier nicht, die Kurven sind nicht einsehbar, und die Straße ist nicht wirklich zweispurig. Und schauen will ich auch noch: wie der Bach sich halb neben, halb unter der Straße durch die Schlucht quetscht, wie die Felsen an einer Stelle über mir fast zusammenzustoßen scheinen, wie der Tunnel im rechten Winkel die Straße verschluckt und ebenso rechtwinklig wieder ausspuckt. Was für eine tolle Strecke!
Das Tal öffnet sich und sofort steigt die Zahl der Dörfer. Wir verlassen die besiedelte Ebene bei Popoli und nehmen die Strada Statale 17 in Richtung L'Aqulia. Das große Erdbeben von 2009 mit seinen schrecklichen Bildern ist mir im Gedächtnis haften geblieben. An dieser Stelle verläuft unter den Abruzzen ein tektonischer Bruch, der immer wieder zu schweren Erdbeben führt. Manchmal liegen 200 Jahre dazwischen, manchmal weniger. Aber wir wollen nicht in die Stadt, wir wollen nach oben - zur Hochebene des Campo Imperatore. Die kleine Straße schraubt sich über Döfer mit "sprechenden" Namen wie Castel del Monte in die Höhe. Auf den Geraden genieße ich die Fernsicht über das Tal. Schnell gewinnen wir an Höhe, die Straße, die wir eben noch da unten gefahren sind, ist nur noch ein Strich in der Landschaft.
Eine Hochebene ohne Baum und Strauch erwartet uns. Dafür mit einem Motorrad-Treffpunkt? Jedenfalls stehen da vielleicht zwanzig, dreißig Motorräder in der Landschaft vor einem niedrigen Gebäude. Rauch steigt auf. Wir parken neben den anderen Bikes und schauen uns um.
"Ristoro Mucciante" steht auf dem Schild, davor Tische und Bänke und sehr schmale, aber umso längere Grills. Drinnen gibt es Käse, kleine, fertig vorbereitete Grillspieße mit Speck, Brot und Wasser zu kaufen. Ach so, wir sollen selbst grillen! Draußen schüttet schon ein Mitarbeiter Grillkohle in die langen Grills. Einfach drauflegen, ein wenig drehen und fertig ist der Grillspieß. Bei schönstem Sommerwetter sitzen wir auf 1500 Meter Höhe auf der kargen Hochebene, umgeben von hohen Bergen, und genießen das Essen.
Aber es geht noch höher hinaus: Wir erreichen das Observatorium, das auf 2144 Metern Höhe liegt. Eine Seilbahn führt ins Tal. An ihrem unteren Ende liegt ungefähr unser Hotel, wir könnten also... Aber es ist viel schöner, diese grandiose Sackgasse ganz in Ruhe wieder zurück zu fahren, um unser abendliches Quartier zu erreichen.